Rohstoff

 
 
Grace Arabesque / Alice Saute, 2018   ➝   Wide format digital print, 600 x 400cm

Grace Arabesque / Alice Saute, 2018 ➝ Wide format digital print, 600 x 400cm

 
 

Untitled (Wall), 2013 ➝ Mixed media on canvas, 260 x 300cm

 
 

Rohstoff

Philosophisch-Theologische Hochschule St. Georgen – Text: Anna Feldhaus

Hendrik Zimmer (*1973), Städelabsolvent und Meisterschüler der freien bildenden Kunst, arbeitet mit gefundenem Material, das er seinem urbanen Umfeld entnimmt. Von Litfaßsäulen, Plakatwänden und Werbeflächen stammen die Grundstoffe, aus denen er seine meist großformatigen Collagen, Dècollagen und Skulpturen entwickelt. 

Er schichtet Plakatfetzen, Teile von Postern und Werbebannern, Brocken der Bilderflut, der wir tagtäglich ausgeliefert sind. Durch ihre Dekonstruktion und Zweckentfremdung entbindet Zimmer sie ihrer ursprünglichen Funktion, macht sie sich zueigen. Nach akribisch konstruierten Bauplänen formt er aus ursprünglich besetzten Werbebildern seine Collagen. Eine Umwertung findet statt. 

Großflächige Übermalungen ahmen die Praxis des Überklebens älterer Plakate mit aktuellen nach und greifen die Prinzipien unserer Alltags-Werbekultur auf: Das Schichten von Versionen des immer Gleichen. Hier reißt Zimmer auf, dort ergänzt er. Fragmente werden wieder freigelegt, während andere übermalt und überklebt werden. Schichten verschränken sich, die Ebenen verschmelzen. Der Prozess der Bilderschaffung ist auch ein destruktiver. 

Das polyfokale Allover seiner Collagen weist über den Bildrahmen hinaus und funktioniert doch selbstreferentiell. Wie ein Sog zieht unendliche Wiederholung in eine bodenlose Tiefe. Nach dem Prinzip des „mise en abyme“, dem Motiv der Geschichte in der Geschichte oder dem Bild im Bild, legt der Künstler seine Bilder an und überlässt uns nur scheinbar dem Rausch vermeintlicher Zufälligkeiten. 

Inspiriert durch die Skulpto-Malerei des Künstler Alexander Archipenko (1887-1964), der als erster Bildhauer den Kubismus auf die Skulptur übertrug, untersucht Zimmer mit seinen Skulpturen bildtragende Oberflächen auf ihre Eigenständigkeit. Dabei überschreitet er die Grenzen von Malerei und Plastik spielerisch-ironisch in beide Richtungen. Immer wieder löst Zimmer Bildträger und Bild, um sie unabhängig wieder zusammenzusetzen. 

Die Skulpturen, die für St. Georgen entstanden sind, wirken wie eine Begegnung der dritten Art, unterstreichen die Ironie, die in Zimmers Kunst - mal leise, mal laut - mitschwingt. Aus Großflächenplakaten mit überdimensionalen Gesichtern, baut Hendrik Zimmer Skulpturen, macht aus zweidimensionalen Werbebannern dreidimensionale Figuren. Werbelächeln wird durch die Verzerrung und Deformation zur Grimasse. Zwischen Anziehung und Abstoßung begegnen wir diesen schönen Wilden. Sie sind Formationen aus Bekanntem und irritieren über die Verfremdung. Wir sind eingeladen, sie von allen Seiten zu erfassen, unseren Standpunkt zu verändern. Die Gleichzeitigkeit von zweidimensionalem Konzept und dreidimensionaler Präsentation ist ein Perspektivwechsel und führt zu einer erweiterten Wahrnehmung. Zimmer entwickelt aus dem Plakat als ready made eine Form von hyper- Realität. 

So ist der Stoff aus dem Zimmers Kunst entsteht die Spannung zwischen Formation und Deformation, Collage und Dècollage, Konstruktion und Dekonstruktion. Diese Zerreißprobe zu bestehen, macht die Intensität seiner Arbeiten aus.